Tierwohl, Klimaschutz und Familie: Milchbauer Conny Derboven im Interview

"Zahl der Tiere hat nichts mit dem Niveau des Tierwohls zu tun"

28. Februar 2020

Drei Generationen, drei Töchter und ganz viel Herzblut für Milchkühe – das ist Familie Derboven aus Warpe-Helzendorf im Landkreis Nienburg. Im Interview erzählt Conny Derboven von Herausforderungen und neuen Projekten.

„Bei uns kommt von der Produktion der Pflanzen bis zur Ladentheke alles aus einer Hand“, sagt Conny Derboven (2. v. rechts) Foto: Derboven

Familie Derboven durfte im Dezember 2019 die „Silberne Olga“ für ihren nachhaltig wirtschaftenden Betrieb in Empfang nehmen. Welcher Geist herrscht auf dem Hof Bunkemühle? Im Gespräch mit Conny Dervboven gehen wir dieser Frage auf den Grund.

LVN: Familie Derboven – das sind drei Generationen auf dem Hof Bünkemühle. Drei Generationen, die zusammen leben und arbeiten: Ist das eher eine tägliche Herausforderung oder ein Segen? Und warum?

Conny Derboven: Es ist beides. Herausfordernd ist es, die drei Generationen, drei Töchter mit Partnern jeden Tag zu koordinieren. Aber die Ziele sind in unserem Betriebskonzept klar definiert, die Wege, die dorthin führen, sind unterschiedlich. Der Segen liegt in dem Mehrgenerationenhof begründet. In unserem System ist keiner überflüssig, von der Kinderbetreuung bis zur Altenpflege ist alles möglich. Wir sehen darin einen großen Vorteil. Bis vor kurzem waren wir noch vier Generationen – die älteste Generation konnte sich bis zum Schluss, zum Beispiel beim Aufpassen auf die Kinder, einbringen. Keiner ist überflüssig. Es lohnt sich, aber man muss natürlich auch Opfer bringen.

LVN: Wie teilen Sie sich die Arbeit auf?

Conny Derboven: In unserem Betriebskonzept hat jeder unterschiedliche Bereiche, für jeden Bereich hat einer die Entscheidungshoheit: Die jüngste Tochter Dorothee ist verantwortlich für die Milchproduktion, unseren Betriebsschwerpunkt. Die älteste Tochter Anna-Lena unterstützt diesen Bereich. In der Käserei ist die mittlere Tochter Cathrin zuständig. Wir liefern an 100 Wiederverkäufer. Die Pflanzenproduktion übernimmt Schwiegersohn Sönke mit mir. Die Biogasanlage sowie einen kleinen Lohnbetrieb führt ebenfalls Sönke. Die Öffentlichkeitsarbeit, also Hofbesichtigungen für Schulklassen, Kitas und Vereine, und das Café teilen sich meine Frau Annette und ich. Die älteste Tochter Anna-Lena hat die Verwaltung aller Betriebszweige inne.

LVN: Sie sind zweitbester Milcherzeuger im Milchland Niedersachsen. Was sind die Stärken Ihres Betriebes? Worin sind Sie besonders gut?

Conny Derboven: Bei uns kommt von der Produktion der Pflanzen bis zur Ladentheke alles aus einer Hand. Unsere Stärke liegt in der Geschlossenheit, in der Zusammenarbeit im Betrieb, in der Familie. Wir haben kurze Wege und unsere Kreislaufwirtschaft macht uns unabhängig. Ausschließlich Rapsextraktionsschrot kaufen wir zu. Eventuell kann das in Zukunft nicht mehr aus der Region erfolgen.

LVN: Sie haben sich entschieden, Ihren Milchviehbetrieb weiter auszubauen und zu vergrößern. Worin liegen die Vorteile eines größeren Milchviehbetriebes im Vergleich zu kleineren Betrieben für Sie als Landwirt?

Conny Derboven: Im größeren Betrieb können Kostendegressionen bis an die Grenze des Wachstums genutzt werden, vor allem beim Futter und der Melktechnik. Der Einsatz von Technik ermöglicht geringe Lohnkosten pro Liter Milch (senkt also die produktionsbezogenen Lohnkosten). Und im technologischen Bereich ergeben sich Synergien. Vor allem die Biogasanlage ist erst ab einer gewissen Größe wirtschaftlich, bei 100 Kühen ist das noch nicht der Fall. Die Biogasanlage liefert einen hohen ökologischen Beitrag, wir produzieren unseren eigenen Strom, benötigen keine Netze.

Technologisch müssen wir dahin kommen, dass wir verlustarm mit den Ressourcen wie Boden und Wasser umgehen. Abwarten, was gelingt! Die Gründe unserer Hofentwicklung sind in der Historie zu sehen. Nur über die Größe ist es möglich, dass heute mehrere Familien davon leben. Noch ist nicht klar, was in Zukunft genehmigt wird. Vor einigen Jahren wollten wir auf Bio umstellen, leider haben wir keinen Vertragspartner gefunden.

LVN: Sie halten 500 Milchkühe auf Ihrem Hof und dazu die weibliche Nachzucht. Wie gewährleisten Sie, dass sich diese 500 Kühe genauso wohl fühlen und gesund sind, wie 92 Kühe auf einem durchschnittlichen niedersächsischen Milchbauernhof?

Conny Derboven: Die Zahl der Tiere hat nichts mit dem Niveau des Tierwohls zu tun. Die Verhältnisse für das Einzeltier sind wichtig. Die können sowohl bei einem kleinen Betrieb, als auch einem großen Betrieb gut oder schlecht sein. Die jüngsten LKV-Ergebnisse haben gezeigt, dass gerade größere Betriebe höhere Milchleistungen erzielen. Wir schauen uns heute jedes Tier an, der Stallbau orientiert sich an den Bedürfnissen des Tieres. Das hat sich in den letzten 20 Jahren völlig verändert. Wir achten auf Liegekomfort – für uns muss es Einstreu sein. Die Lauffläche pro Tier möchten wir gern vergrößern, das würde aber mehr Emissionen mit sich bringen. Die Beschaffenheit der Lauffläche ist uns wichtig, die Fläche wird stündlich abgeschoben. Außerdem soll keine Kuh mehr als 10 m laufen, um an frisches Wasser zu kommen. Jeder Kuh steht 80 Kubikmeter Luft zur Verfügung.

Wichtig sind auch die Futterverhältnisse – pansenstressfrei und wiederkäuergerecht – und der Umgang mit den Tieren. Wir haben die Beobachtung gemacht, dass Gruppengrößen von 80 -100 Tieren ideal sind für das Sozialverhalten der Kühe. Es gibt keinen Futterneid, keine Rangordnungskämpfe. In den kleinen Gruppen – Trockensteher oder Abkalber – müssen sich die Kühe gut verstehen. Die Hälfte der Milchleistung erzielt man durch Stressminderung. In großen Gruppen kann man Kühe genauso stressfrei halten wie in kleinen, wenn man auf die Kühe eingeht.  

LVN: Sie melken mit einem Swing Over Melkstand: Warum haben Sie sich für diese Melktechnik entschieden und nicht für Melkroboter?

Conny Derboven: Mit Melkrobotern hatten wir keine Erfahrung und die Kosten waren uns zu hoch. Meine Tochter Anna-Lena hat in Irland lange mit einem Swing Over Melkstand gearbeitet und die Idee mit nach Deutschland gebracht. Mit einem Swing Over Melkstand hat man die geringsten Kosten pro Melkplatz und eine Person kann alleine in einem Doppel-20er Melkstand arbeiten. Damals gab es keine Engpässe auf dem Arbeitsmarkt, heute würden wir uns vielleicht für einen Melkroboter entscheiden.

LVN: Wie leben Sie Umwelt- und Klimaschutz auf Ihrem Hof?

Conny Derboven: Unser Ziel ist es, eine hohe Grundfutterleistung zu bekommen und  möglichst wenig Kraftfutter einzusetzen. Die Grundfutterleistung liegt bei 7.000 kg. Wir setzen kein Sojaschrot ein, kaufen nur Rapsextraktionsschrot aus Deutschland zu. Das wird in Zukunft schwierig werden. Wir haben zum Großteil arrondierte Flächen und deshalb kurze Wege. Außerdem setzen wir auf eiweißreduzierte Fütterung. Durch das stündliche Abschieben der Laufflächen reduzieren wir Emissionen. Das Energieaufkommen dafür generieren wir aus eigenem Strom. Auch die gasdichte Güllelagerung durch die Biogasanlage bringt einen großen Vorteil. Die Heutrocknung erfolgt mit Wärme aus der Biogasanlage und vom Dach. Strom für die Beregnung auf den arrondierten Flächen liefert ebenfalls die PV-Anlage. Unser Grünland ist besonders gut für die  Humusmehrung. Die Gräser benötigen keinen Pflanzenschutz, nur beim Maisanbau setzen wir ein Herbizid ein.  

LVN: Gibt es Dinge auf Ihrem Milchbauernhof, die Sie kurz- und mittelfristig verändern wollen? Was sind die nächsten größeren Projekte, die Sie angehen?

Conny Derboven: Wir planen ein kleines Feriendorf für „Ferien auf dem Bauernhof“. Außerdem möchten wir die Direktvermarktung ausbauen, das hatten wir uns allerdings etwas leichter vorgestellt. Es wäre uns aber lieber als weiter zu wachsen. Weiterhin möchten wir an der Verarbeitung der Gärreste arbeiten.

LVN: Auf Ihrem Milchbauernhof gibt es seit 5 Jahren eine Hofkäserei und einen Hofladen, in dem Besucher den Käse kaufen können. Sogar online kann man sich Ihren Käse bestellen. Was hat Sie dazu bewogen eine eigene Käserei zu betreiben? Und wofür lohnt sich das?

Conny Derboven: Die Käserei war ein Traum, der irgendwann entsteht, wenn mehrere Kinder auf dem Hof einsteigen wollen. Unsere Tochter Cathrin hat nach ihrem Studium der Agrarwissenschaften das Molkereifach gelernt und in verschiedenen Betrieben Erfahrungen gesammelt. Mit dem Aufbau der Käserei vor 6 ½ Jahren wollten wir erreichen, dass sie sich auf dem Hof entfalten kann. Damit wurde für uns auch die Wertschöpfungskette geschlossener. Bei Besichtigungen haben wir die Möglichkeit, die Produktion darzustellen, transparent zu sein. Die Direktvermarktung steigert das Selbstwertgefühl – man liefert nicht nur ab. Ich kann das jedem empfehlen, auch wenn es wirtschaftlich hinter den Erwartungen zurückbleibt.  

LVN: Sie haben eine informative Internetseite rund um Angebote und Neuigkeiten von Ihrem Milchbauernhof. Warum ist Ihnen so etwas wichtig?

Conny Derboven: Über die Homepage, die eigentlich schon wieder erneuerungsbedürftig ist, und auch über die Sozialen Medien erreichen wir die zukünftige Generation, unsere Hauptzielgruppe.  

LVN: Sie laden regelmäßig Schulklassen und Kindergartengruppen zu sich ein. Warum schaffen Sie solche Angebote und wie wird das angenommen?

Conny Derboven: Es ist mein ganz persönliches Anliegen, Kindern positive Eindrücke von der Landwirtschaft zu vermitteln, denn die bleiben erhalten.  Kinder können bei uns eine Beziehung zum Tier aufbauen. Die leuchtenden Kinderaugen beim Handmelken überraschen und motivieren mich immer wieder. Es gibt auch viele kritische Lehrer und Erzieher, die einen Tag auf dem Bauernhof nicht als sinnvoll erachten, es zu aufwändig und zu teuer finden. Aber wenn diese kritischen Leute erst einmal auf den Hof kommen, sind sie oft überrascht, wie ruhig die Kühe sind und dass sie freiwillig in den Melkstand  gehen. Die Schulen im nahen Umkreis kommen zu uns, bestimmte andere Landkreise unterstützen das aber nicht. Wir betreuen Gruppen zu zweit und bereiten ein Frühstück zu, pro Kind sammeln wir dafür einen Euro ein.

LVN: Die Rinderzucht ist ein wichtiger Bestandteil Ihres Hofes. Warum ist Ihnen das wichtig und wie profitiert Ihr Betrieb davon?

Conny Derboven: Wenn wir die Zucht nicht hätten, wären meine Töchter nicht in den Betrieb eingestiegen. Die Kinder haben seit klein auf eine enge Beziehung zu den Rindern. Alle 500 Milchkühe haben einen Namen, meine Töchter kennen die Namen. Wir könnten aber alle keine Tiere halten, die wir nach 4 Wochen oder 4 Monaten wieder abgeben müssten.

In Milchquoten-Jahren hatte die Rinderzucht eine große wirtschaftliche Bedeutung für unseren Betrieb, das ging über 10 Jahre. Heute ist der Reiz weniger die Wirtschaftlichkeit als die Züchtung an sich. Merkmale, die wir wichtig finden, möchten wir ausprägen. Für uns ist die Rinderzucht auch eine große Motivation, sich mit den Kühen individuell zu beschäftigen.

LVN: Was lieben Sie an Ihrem Beruf Milchbauer?

Conny Derboven: Diese Frage hätte ich zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beantwortet. Ich mag die enge Beziehung zu den Tieren. Und auch meine Tochter sagt, sie müsse jede Kuh, außerhalb des Melkstandes, mindestens einmal am Tag „in der Hand“ gehalten haben. Bei uns sind Kühe nicht nur eine Nummer. Diese Einstellung gilt für alle, die hier arbeiten und das ist mir auch wichtig bei unseren Auszubildenden und Praktikanten. Sie müssen ein Verständnis für die Tiere haben, das ist mehr wert als Noten oder Abschlüsse. Und ich mag die Arbeit mit der Natur – auch, wenn die Gesellschaft oft der Meinung ist, dass Landwirte gegen die Natur arbeiten. Ich bedaure die extreme Spaltung von konventionell und Bio in der Gesellschaft.

LVN: Wie würden Sie den Satz vervollständigen: Ich würde jedem empfehlen beim Milchlandpreis teilzunehmen, weil…

Conny Derboven: … weil man einen anderen Blick auf seinen Betrieb bekommt und man bei der Preisverleihung mit Leuten zusammen kommt, die ähnlich „gestrickt“ sind. Es gibt keinen Neid, das war sehr beeindruckend.

In der Begutachtung öffnet man sich, man sieht den Betrieb aus einer anderen Perspektive und es werden bestimmte Dinge bedacht, die ich in keiner Fachzeitschrift finde. Es hat einfach Spaß gemacht und der Preis ist eine schöne Anerkennung. Er hilft uns und der ganzen Branche bei der Öffentlichkeitsarbeit. Die Landwirtschaft wird positiv in ein leuchtendes Licht gesetzt.

Den Betriebsspiegel des Hofes Bunkemühle finden Sie auf unserer Homepage.

LVN/Rittershaus/Licher

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