Warum eine Rinderherde für das Klima wie ein abgeschaltetes Kohlekraftwerk ist

Forscherin der Universität Oxford klärt auf: Das bedeuten Methan-Emissionen

22. November 2019

Eine gleich groß bleibende Rinderherde verursacht keine zusätzliche Erderwärmung. Das sagt Dr. Michelle Cain von der Universität Oxford.

Die Tierhaltung sowie der Fleisch- und Milchkonsum stehen in der Klimaschutzdebatte aufgrund des natürlichen Methanausstoßes von Wiederkäuern in der Dauerkritik. Schnell werden Forderungen nach Fleisch- und Milchverzicht und einem Abbau der Tierbestände zur Rettung des Weltklimas laut. Dabei werden grundlegende Unterschiede in der Klimawirkung von Methan und anderen Treibhausgasen ausgeblendet. Die dbk hat sich deshalb mit Dr. Michelle Cain unterhalten, die an der Universität Oxford zur Temperaturwirkung von Klimagasen forscht.

In Ihrer Forschung befassen Sie sich mit Treibhausgasen
und dem Klima, mit einem Schwerpunkt auf Methan. Was ist an Methan im Vergleich zu anderen Treibhausgasen so besonders?

Dr. Michelle Cain: Methan ist ein kurzlebiges Treibhausgas mit einer Lebensdauer von 12 Jahren. Im Gegensatz dazu reichert sich CO2 über Jahrhunderte in der Atmosphäre an, und Lachgas hat eine Lebensdauer von 120 Jahren. Chemische Reaktionen – sogenannte „Senkenprozesse“ bauen in die Atmosphäre ausgestoßenes Methan wieder ab. Das bedeutet, dass ein gleichbleibendes Niveau der Methanemissionen zu einer gleichbleibenden Menge an Methan in der Atmosphäre führt – wenn die restlichen Bedingungen gleich bleiben.

Spiegelt der aktuelle Bilanzierungsrahmen von Treibhausgasen die Besonderheit von Methan angemessen wider?

Cain: Nein. Der aktuelle Bilanzierungsrahmen basiert für alle Treibhausgase auf Durchschnittswerten für einen Zeitraum von 100 Jahren, die in CO2-Äquivalenten angegeben werden. Damit unterstellt man, dass Methan eine dauerhafte Erwärmungswirkung auf das Klima hat, die es so aber nicht hat. Auch wird dadurch die kurzfristige Erwärmung oder Abkühlung durch höhere oder niedrigere Methanemissionen unterschätzt. Um die Erwärmung wirksam zu
bekämpfen, müssen wir in der Lage sein, die Auswirkungen gleichbleibender oder sich verändernder Methanemissionen auf die globalen Temperaturen exakt zu beziffern.

Welcher Ansatz für die MethanBilanzierung wäre also geeigneter?

Cain: Wir haben einen neuen Weg für die Berechnung der Auswirkungen auf die Temperatur vorgeschlagen: Das sogenannte „Global Warming Potential“ (GWP) in Abgrenzung zum „100-jährigen Global Warming Potenzial“. Die neue Maßzahl des GWP* ermöglicht einen besseren Vergleich, indem die Erwärmung präziser dargestellt und kurz- und langfristige Auswirkungen kombiniert werden.
Gemäß dem GWP*-Ansatz entspricht eine neue Methanquelle beim erstmaligen Auftreten einem hohen CO2-Ausstoß. Stößt die Quelle weiterhin Methan aus, entspricht dies lediglich einer kleinen dauerhaften CO2-Emission. Damit kann abgebildet werden, welche Auswirkungen eine neue Methanquelle – starke Erwärmung, da sich die Energiebilanz der Erdatmosphäre an das zusätzliche Methan anpasst – und das dauerhafte Vorhandensein einer Methanquelle – leichte Erwärmung, da die Tiefsee auf die Veränderung der Energiebilanz über mehrere Jahrzehnte hinweg langsam reagiert – auf die Temperatur haben.

Müssen wir Methanemissionen so stark reduzieren wie andere Treibhausgase, um einen weiteren globalen Temperaturanstieg zu verhindern?

Cain: Eines ist sicher: Die Netto-Emissionen langlebiger Treibhausgase müssen auf null gesenkt werden oder negativ sein, was daran liegt, dass diese Gase sich in der Atmosphäre anreichern. D. h., selbst geringe jährliche CO2-Emissionen würden sich mit der Zeit anhäufen. Die Methanemissionen müssen nicht auf null gebracht werden, um eine „Netto-Erderwärmung von null“ oder „Klimaneutralität“ zu erreichen. Ein konstanter Methanausstoß trägt nicht zur weiteren globalen Erderwärmung bei. Bereits eine geringe Reduzierung der Methanemissionen von weniger als einem Prozent pro Jahr würde die langsam ablaufenden Efekte in der Tiefsee durch vergangene Methanemissionen ausgleichen. Eine schnelle Reduzierung von Methanemissionen führt hingegen dazu, dass die in der Atmosphäre verbleibende Methanmenge sinkt, da die Methansenken die Quellen überwiegen. Dies hätte dieselbe Wirkung auf die globale Temperatur wie eine aktive Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, nämlich eine Temperaturabnahme. Die Kehrseite davon ist, dass ein schneller Methananstieg die gleiche Wirkung auf die Temperatur hat wie umfangreiche CO2-Emissionen, was der aktuellen Situation auf dem Globus entspricht.

Inwiefern können Emissionen von Wiederkäuern mit den Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger verglichen werden?

Cain: Mit Blick auf den Beitrag zur globalen Erderwärmung sind die Methanemissionen einer stabilen Rinderherde mit einem abgeschalteten Kohlekraftwerk zu vergleichen. Das Kraftwerk hat während seines Betriebs die globale Temperatur ansteigen lassen, was auch beim Aufbau der Rinderherde der Fall ist. Aber weder eine gleich groß bleibende Rinderherde, deren Emissionen durch verbessertes Management jährlich um weniger als 1 Prozent zurückgehen, noch ein stillgelegtes Kraftwerk verursachen einen zusätzlichen Strahlungsantrieb für das Klima. Es ist zu beachten, dass mit der Tierhaltung zusammenhängende Lachgas- und CO2-Emissionen langlebig sind und sich daher in der Atmosphäre anreichern, was zur Erwärmung beiträgt. Das durch Wiederkäuer ausgestoßene Methan wird in der Atmosphäre dann zu CO2 abgebaut. Dieses wurde aber vorher vom Futter aus der Atmosphäre aufgenommen und ist damit klimaneutral. Wenn im Gegensatz dazu fossiles Methan, beispielsweise aus Erdgas, abgebaut wird, gelangt zusätzliches CO2 in die Atmosphäre. Folglich trägt dies in geringem Ausmaß zur Erderwärmung bei.

Gibt es bereits Beispiele nationaler Klimapolitiken auf der Welt, welche die besondere Rolle von Methan für das Klima berücksichtigen?

Cain: Einige Länder der Welt beginnen bereits damit, bei ihren Politiken wissenschaftliche Erkenntnisse über das Klima mit einzubeziehen. Der „Netto Null“-Bericht der britischen Kommission für Klimawandel stellt fest, dass eine
Zielvorgabe von Netto-Null-Emissionen für alle Treibhausgase bis 2050 dazu führen würde, dass Großbritannien zur Abkühlung der Erde beitragen würde. Und die „Zero Carbon Bill“ in Neuseeland gibt vor, dass die Netto-Emissionen
aller Treibhausgase bis 2050 bei null liegen müssen, ausgenommen biogenes Methan, welches im Vergleich zu 2017 um 24 bis 47 Prozent zu reduzieren ist. Die enorme Bedeutung der Veränderung von Emissionsraten bei Methan macht es erforderlich, dass dies auch bei der Bewertung der globalen Klimawirkungen der Landwirtschaft berücksichtigt werden muss. Die GWP*-Methode ermöglicht
dies auf einfache Art und Weise. Eine Reduzierung der Methanemissionen
kann relativ schnell eine Abkühlung der Erde ermöglichen. Um eine Abkühlungswirkung durch CO2 zu erzielen, müsste CO2 der Atmosphäre entzogen werden. Wir müssen die Reduzierung von Methanemissionen
mit einem angemessenen Temperaturwert berücksichtigen, wenn wir möchten, dass sie einen integralen Bestandteil unserer Bemühungen zur Stabilisierung oder sogar Senkung der globalen Temperatur bilden.

Zur Person: Dr. Michelle Cain

Dr. Michelle Cain forscht an der Oxford Martin School der Universität Oxford zu Luftverschmutzung, Treibhausgasen und Klimawandel. Zuvor war sie an der Universität von Cambridge u. a. als Koordinatorin des Cambridge Center für Klimawissenschaften tätig. In dem 2018 veröfentlichten wissenschaftlichen Paper
„A solution to the misrepresentations of CO2-equivalent emissions of short-lived climate pollutants under ambitious mitigation”, an dem sie als Mitautorin beteiligt war, wird das GWP*-Konzept zur besseren Berücksichtigung der Besonderheit
von Methan als kurzlebiges Treibhausgas ausführlich beschrieben. Das wissenschaftliche Papier ist online unter www.nature.com/articles/s41612-018-0026-8 abrufbar.

Gerolf Bücheler/Deutsche Bauernkonferenz/dbk

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