Zuverlässige Messungen der Methanproduktion von Milchkühen über Respirationskammern gelten zurzeit als Goldstandard, sind in der Praxis aber sehr aufwendig durchzuführen. Daher ist Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten zu ermitteln, wie sich die tägliche Methanproduktion einer Milchkuh über ihre Milchprobe bestimmen lässt.
Dr. Ernst Bohlsen vom Landeskontrollverband Niedersachsen e.V. (LKV Niedersachsen) sowie Dr. Reinhard Reents vom Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung w.V. (vit) geben im nachfolgenden Interview mit der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V. (LVN) einen Einblick in das spannende Forschungsfeld und beantworten unter anderem die Fragen, wie die Ermittlung des Methanausstoßes erfolgt, wie zuverlässig das Verfahren ist und inwieweit züchterische und fütterungsangepasste Maßnahmen den Methanausstoß von Milchkühen verringern können.
Herr Dr. Bohlsen, wie lässt sich die Methanproduktion einer Milchkuh anhand der Milchprobe genau bestimmen und welche technischen Verfahren kommen dabei zum Einsatz?
Dr. Ernst Bohlsen: Bei der Analyse der Milchproben aus der Milchkontrolle und Milchgüteprüfung werden von den Laboren der Milchkontrollverbände die bekannten Ergebnisse zum Fett-, Eiweiß- und Harnstoffgehalt sowie der Zellzahl bereitgestellt. Die Ermittlung dieser genannten Parameter aus der Milch basiert auf der Mittelinfrarot (MIR)-Spektrometrie. Das heißt, unsere Analysegeräte liefern im mittleren Infrarotbereich über 1.000 Werte je Milchprobe. Anhand dieser Spektraldaten werden die bisher bekannten Inhaltstoffwerte ermittelt. Die Genauigkeit der ermittelten Inhaltstoffergebnisse im Vergleich mit referenzenanalytischen Untersuchungen ist dabei sehr hoch. In einem kürzlich erfolgten Projekt konnten wir anhand der Spektraldaten nun auch wertvolle Aussagen zur Stoffwechsellage der einzelnen Kuh z.B. zur subklinischen Ketose treffen.
Mit Hilfe der Spektraldaten können auch Informationen zur Methanemission und zur Effizienz des einzelnen Tieres abgeleitet werden. Für die Ableitung der Methanemissionen aus den Milchspektraldaten werden zunächst Referenzdaten, das heißt Informationen zum Methanausstoß der einzelnen Kuh, benötigt. Diese können mit verschiedenen Methoden und technischen Verfahren sowohl unter standardisierten Versuchsbedingungen als auch unter Praxisbedingungen gewonnen werden. Über die Verknüpfung dieser Informationen mit den Spektraldaten und weiteren Daten zu den laktierenden Kühen können dann Rechenmodelle entwickelt werden, die Informationen zum Methanausstoß und zur Effizienz des einzelnenTieres liefern. So werden zum Beispiel Aussagen zur Methanemission pro Kuh und Tag oder je abgegebenen Kilogramm Milch möglich. Gleichzeitig werden über diesen Weg neue Merkmale für die Milchrinderzucht erschlossen.
Welche Rolle spielen die Qualitätssicherung in den Landeskontrollverbänden und „European Milk Recording“ bei der Erforschung und Entwicklung von Methoden zur Bestimmung der Methanproduktion aus Milch?
Dr. Ernst Bohlsen: In den Laboren der Milchkontrollverbände erfolgt eine stetige Überprüfung der Ergebnisse der Inhaltstoffparameter Fett, Eiweiß usw. anhand von Standardproben, deren Werte bereits durch eine referenzanalytische Ermittlung bekannt sind. Diese Standardproben werden mehrmals stündlich zwischen den zu untersuchenden Proben analysiert. Durch diese Qualitätssicherungsmaßnahme können Abweichungen der Ergebnisse vom „wahren Wert“ ausgeschlossen werden.
Eine Standardisierung der Rohdaten, in diesem Fall der Spektraldaten durch eine referenzanalytische Untersuchung, gibt es in dieser Form nicht. Hierfür wurden als Alternativen statistische Modelle entwickelt, in die Daten von vielen Untersuchungslaboren und -geräten einfließen, um die Vergleichbarkeit der Spektraldaten sicherzustellen. European Milk Recording (EMR) bietet eine derartige Standardisierungsmethode über einen Verbund vieler internationaler Labore kommerziell als Dienstleistung zur Nutzung an. Inzwischen haben mehrere deutsche LKVs mit dem vit eine alternative Standardisierung entwickelt. Die statistische Auswertung der Ergebnisse erfolgt dann für den LKV Niedersachsen bei unserem EDV-Dienstleister vit. Damit ist eine hohe Qualität der anfallenden Daten gewährleistet.
In der Vergangenheit waren der LKV Niedersachsen und vit bereits am Innovationsprojekt ReMissionDairy und am Verbundprojekt eMissionCow beteiligt und in die Erforschung von Verfahren zur Ermittlung von Emissions- und Effizienzparametern anhand der Spektraldaten eingebunden. In diesen Projekten konnten wir die erweiterte Milchanalytik, d.h. die Nutzung der Milchspektraldaten, bereits erfolgreich einsetzen. Die für die Nutzung erforderliche Infrastruktur ist inzwischen seit vielen Jahren etabliert. In einem zukünftig geplanten Vorhaben sollen die bisherigen Ergebnisse mit weiteren Daten aus der Praxis validiert und optimiert werden.
Herr Dr. Reents, inwiefern stimmen die mittels Milchanalyse ermittelten Methanwerte mit den direkt in Klimakammern gemessenen Werten überein und was sagt dies über die Zuverlässigkeit des Verfahrens aus? Welche Vorteile ergeben sich aus der Ermittlung der Methanwerte über die Milchanalyse?
Dr. Reinhard Reents: Zuverlässige Messungen des Methanausstoßes von Rindern waren bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich sehr aufwändig in Respirationskammern in Versuchseinrichtungen möglich. Die so erhobenen Messwerte gelten weiterhin als Goldstandard. Sie wurden auch genutzt, um die derzeit verfügbaren Verfahren zu entwickeln, über die der Methanausstoß aus Milchanalyseergebnissen ermittelt werden kann. Solche flächendeckend anwendbaren Verfahren für die Ermittlung des Methanausstoßes werden benötigt, weil direkte Methanmessungen niemals in jedem Betrieb und an jeder Kuh möglich sein werden. Über die Milchkontrolle und Milchanalytik erreiche ich aber genau diese Breite, kann also konkrete Angaben zum tierbezogenen Methanausstoß des einzelnen Betriebes und gegebenenfalls auch der einzelnen Kuh machen.
Im wissenschaftlichen Kontext war es anhand der Daten aus den Versuchseinrichtungen möglich, die in den Respirationskammern gemessenen Methanwerte mit den über die Milchanalyse ermittelten Methanwerten zu vergleichen. Für das aktuell verfügbare Verfahren, das von Milchspektraldaten ausgeht, ergab sich dabei eine gute Übereinstimmung von rund 70 %. Derzeit fehlen uns aber leider Messwerte zum Methanausstoß aus der Praxis, so dass noch keine konkreten Aussagen zur Verlässlichkeit des Verfahrens in der breiten Anwendung in milchproduzierenden Betrieben treffen können. Die genannte Größenordnung der Übereinstimmung mit Messwerten lässt aber den Schluss zu, dass die mittels Milchanalyse ermittelten Methanwerte zukünftig eine wertvolle Hilfe sein können, um Optimierungsmöglichkeiten für das Fütterungsmanagement zu erkennen und zu nutzen. Für den Routineeinsatz gilt es nun, durch weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit abzusichern, dass das trotz teils erheblicher Unterschiede zwischen gefütterten Rationen, Betrieben und Einzeltieren funktioniert. Die aktuelle Herausforderung ist, die dafür erforderlichen Methanmessungen an größeren Tierzahlen in Praxisbetrieben vorzunehmen. Seit einigen Jahren gibt es quasi als praxistaugliche Alternative zur Respirationskammer das sogenannte GreenFeed-System. Im Kuhstall können die Geräte ähnlich wie eine Kraftfutterstation aufgestellt werden und liefern dann akkurate Methanmesswerte, die als Referenz für unsere Milchanalyse-basierten Verfahren dienen können. Der Aufbau einer solchen Praxisreferenz ist aus unserer Sicht sehr wichtig, um die Zuverlässigkeit des Verfahrens der Methanemissionsermittlung aus den Milchspektraldaten zu stärken und dauerhaft abzusichern. Dem Milchsektor erschließt das die maximale Anwendungsbreite der Methanwerte: für das betriebliche Management, als Ausgangsdaten für die Zucht und für Wirksamkeitsnachweise von Maßnahmen zur Senkung des Ausstoßes klimawirksamer Gase.
Wie wirken sich die Zucht und die Fütterung der Milchkühe auf die Methanproduktion aus und in welchem Umfang können sich dadurch zukünftig die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft verringern?
Dr. Reinhard Reents: Die Milchrinderzucht und -haltung ist aufgrund der Besonderheiten des Stoffwechsels von Wiederkäuern stets mit dem Thema Methanausstoß verbunden. Allerdings gibt es hinsichtlich der Menge produzierten Methans große Unterschiede zwischen Betrieben und einzelnen Kühen, die teils auf Fütterung und Management, teils auf die Genetik zurückzuführen sind. Dass höhere Kraftfutteranteile in einer Ration zu vergleichsweise niedrigeren und hohe Rohfasergehalte zu höheren Methanemissionen führen, ist zwar bekannt. Aber die Kuh zeichnet sich ja gerade durch die Fähigkeit aus, aus rohfaserreichem Pflanzenmaterial hochwertiges Eiweiß zu produzieren, was ihre relevante Rolle für die Grünlandnutzung begründet. Eine wiederkäuergerechte und gleichzeitig klimaschonende Fütterung richtet den Blick daher weniger auf den Kraftfutteranteil als auf das Grundfutter. Eine hohe Grundfutterqualität unterstützt, dass viel Milch aus dem Grundfutter ermolken wird und die Win-win-Situation einer wirtschaftlichen, effizienten und emissionsarmen Milchproduktion entsteht. Kühe mit einer hohen Milchleistung produzieren im Übrigen, bezogen auf die erzeugte Milchmenge, weniger Methan als Kühe mit einer niedrigeren Milchleistung. Ein höheres betriebliches Leistungsniveau, das mit einer ausgewogenen, wiederkäuergerechten Ration erreicht wird, ist dementsprechend in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft einzuschätzen. Wie sich der Einsatz emissionsmindernder bzw. als emissionsmindernd geltender Futterzusätze künftig entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
Gezielte züchterische Maßnahmen können in jedem Fall zusätzlich dazu beitragen, den tierbezogenen Methanausstoß zu reduzieren. Für deren Etablierung brauchen wir Verfahren, über die wir zuverlässig Kühe identifizieren können, die relativ geringere Mengen an Methan ausstoßen. Hier kommt also wieder die mögliche Ermittlung des Methanausstoßes über die Milchanalyse und der Wert einer Praxisreferenz ins Spiel.
Die Reduzierung des Methanausstoßes aus der Milchproduktion ist eine Frage der Optimierung innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen und unter Beachtung der angesprochenen Zielkonflikte. Weniger Methan in der Atmosphäre bedeutet aufgrund des starken Effektes auf das Klima, dass kurzfristiger als bei anderen Minderungsmaßnahmen Wirkungen sichtbar werden und das Fortschreiten der Erwärmung sich verlangsamt. Das begründet die Wichtigkeit des Beitrages, den der Milchsektor im Klimaschutz leisten kann und der nicht nur am Umfang der Emissionsminderung bezogen auf die gesamte Landwirtschaft festzumachen ist.
Wir von der LVN bedanken uns bei Dr. Ernst Bohlsen und Dr. Reinhard Reents für das Interview und den intensiven Einblick in dieses spannende Forschungsfeld.
Anmerkung: Das Bild von Dr. Ernst Bohlsen stammt vom LKV Niedersachsen, das Bild von Herrn Dr. Reinhard Reents vom vit.
LVN/Krause
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